VVN-BdA Stade

Wie das Raubtier vor dem Sprung

Still aber gefährlich: Kampfbund »Stahlhelm« indoktriniert die Jugend

Und keiner will es bemerken


Vergessene Opfer
Einleitung

»Entbindungsstätten«

Zwangssterilisation
Euthanasie
Literatur

Neofaschismus
Einleitung

C h r o n o l o g i e
der Straftaten

Überfall in Kutenholz

NPD
Deutsche Partei

Bündnis Rechte
Der Stahlhelm

A r c h i v

Revanchismus
Einleitung
Goldap
Ostpreußen
Schlesien

Presseartikel
A r c h i v

Erinnerung & Vermächtnis
Einleitung

Aktionen
Aktuelles

Archiv

home


Keine Gewähr für externe Links.

© VVN-BdA Stade 2003


Harburger Rundschau N°271, 19. November 1999

Von UWE RUPRECHT

Jork/Buxtehude/Stade - Im Jorker Ortsteil Klein Hove regiert der »Stahlhelm«. Seit 16 Jahren unterhält der »Kampfbund für Europa« im »Franz-Seldte-Haus« sein Hauptquartier. Regelmäßig treffen sich dort Neo-Nazis aus dem ganzen Bundesgebiet und marschieren durch den Ort zu Wehrsportübungen in ein nahegelegenes Waldstück. Die Nachbarn geben vor, davon nichts zu mitzubekommen.

Wehe dem jedoch, der sich dem Grundstück der Familie Drückhammer neugierig nähert. Seit überregionale Medien auf das braune Nest hinterm Deich aufmerksam geworden sind, werden die Stahlhelmer zusehends nervöser. Da wird nicht lange gefackelt, wenn ein Journalist von der Straße aus das frisch renovierte Seldte-Haus ablichtet, das mit einem Schild ausgewiesen ist. Schon stürmen die wehrhaften Kameraden herbei, bedrängen, schlagen, reißen die Kamera an sich und stehlen den Film. Die Straße vor dem Hauptquartier, signalisiert dieses Verhalten, beansprucht der Stahlhelm für sich.

Der Magdeburger Mineralwasserfabrikant Franz Seldte gründete den Stahlhelm 1918 als Bund der Frontkämpfer und überführte ihn 1935 in Hitlers SA. Bis zum Ende des Dritten Reichs war Seldte NS-Arbeitsminister. Ein Nazi bis zur allerletzten Stunde: Noch im April 1945 entwarf er ein Regierungsprogramm für die Zeit nach Hitler. Als neuer Führer vorgesehen war Heinrich Himmler.

Kriegsspiele mit Kindern

Auf einem Gelände in Moorende, das zu Buxtehude gehört, sollen seit wenigstens zehn Jahren Kampfübungen des Stahlhelm stattfinden. Zuletzt das »1. Pfingstbiwak« am 15. Mai diesen Jahres extra für Kinder, für den »Scharnhorst-Bund« der unter 16-Jährigen. Außer »Bogenschießen« stand »Schießen« auf dem Programm. Ein Bericht in der Vereinspostille enthält keine Altersangaben. Aber ein Pony war auch dabei, und ein Foto zeigt Kinder unter zehn Jahren.

»Das oberste Ziel« der Militaristen ist neben der »Wiederherstellung des Deutschen Reiches in seinen historischen Grenzen« vor allem »die Wehrhafterhaltung der deutschen Jugend«. Ausbildung für den Kampf gegen Andersdenkende und Ausländer, für das »wahre Deutschtum«. Vorbereitung für den Bürgerkrieg. Waffen in Kinderhand. Worüber sich angesichts von Amokläufen aufgeregt wird, wie leicht Kinder und Jugendliche an Schusswaffen gelangen - in Jork war das bisher kein Thema. Eine Angehörige des Drückhammer-Clans, im Verein zuständig für »Information und Werbung«, engagiert sich als Elternsprecherin an der Schule.

In den letzten Jahren war es ruhiger geworden um die Freizeitkrieger. Früher waren sie Stammgäste beim Schützenfest und beim Osterfeuer. Sie verteilten Flugblätter für den »Deutschen Märtyrer« Rudolf Hess, der nach ihrer Ansicht ermordet wurde, und legten am Volkstrauertag Kränze am Kriegerdenkmal nieder. Stiller sind sie vielleicht geworden, aber auch gefährlicher. Wie das Raubtier vor dem Sprung.

Anfang 1998 wurden in Rheinland-Pfalz anläßlich des Anschlags auf einen türkischen Imbiss bei Stahlhelm-Mitgliedern Waffendepots ausgehoben: Maschinenpistolen, und Revolver und Gewehre, Minen, Sprengstoff und tausende Schuss Munition.

Der Stahlhelm ist mit anderen rechtsextremen Organisationen vernetzt. Nach Ansicht des Verfassungsschutzes in Hannover übernimmt er dabei eine »Scharnierfunktion«: Durch die Kriegsspiele werden Jugendliche angelockt, indoktriniert und an rechte Parteien weitergeleitet. Einige der namentlich bekannten über 100 Stahlhelmer sind wegen Gewaltdelikten vorbestraft.

Die Politik schweigt

»Man muss den Hund zum Jagen tragen«, kommentiert ein Behördenmitarbeiter die Ignoranz offizieller Stellen. Was ist passiert, seit die Harburger Rundschau vor acht Monaten erstmals wieder über die Aktivitäten des Stahlhelm berichtete, über die so beharrlich Schweigen herrschte in und um Jork? Kurz gesagt: Nichts.

Er werde prüfen, ob der Betrieb des Franz-Seldte-Hauses durch das Baurecht gedeckt sei, versprach Jorks Gemeindedirektor Richard Kladiwa im März. Doch erst am 16. November kam es zu einer Besichtigung durch das Bauordnungsamt des Landkreises. Kladiwa sagt, der Landkreis habe nicht gehandelt; der Landkreis sagt, er habe erst am 23. Oktober, als erneut in Presse über den Stahlhelm berichtet wurde, eine Anfrage aus Jork erhalten.

Die Stader Polizei sagt, sie hätte von den Waffenfunden in Rheinland-Pfalz nichts erfahren und also auch keinen Anlass gehabt, im Jorker Hauptquartier oder in der Scheune, die der Stahlhelm für Schießübungen nutzen soll, nachzuschauen. Eine Informationspanne? Wer hat da gepfuscht? Und gab es nicht auch sonst Gründe für die Polizei, den Stahlhelm ins Visier zu nehmen?

Allein die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) hat wiederholt die Aktivitäten des Stahlhelm angeprangert und zuletzt am 11. November bei den Fraktionen im niedersächsischen Landtag das Verbot des Vereins eingefordert.

Und die Politik vor Ort? Schweigt. Schon die Bundeswehr blieb untätig. In Ehren als Oberfeldwebel entlassen wurde der »Landes- und Bundesjugendführer« Kai-Uwe Drückhammer. Von Beginn seiner Dienstzeit an machte er aus seiner Gesinnung kein Hehl und warb offen für seinen Verein. Ein ehemaliger Unteroffizier, der den damaligen Gefreiten Drückhammer ausbildete, erinnert besonders eine Feier in der Stader Kaserne, bei der Drückhammer lautstark den Holocaust leugnete - offenbar folgenlos.

»Lasst uns gemeinsam, wie unsere Ahnen, durch unsere deutschen Dörfer und Städte marschieren«, ruft der Stahlhelm auf. In Klein Hove beansprucht er die Straße bereits für sich. Fragt sich, wie lange die Bürger sich das gefallen lassen, und was geschehen muss, ehe Verwaltung, Polizei und demokratische Politiker handeln.